Staatsratsgebäude – Audiodeskription

Geschichte

Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und seit der Sprengung des Berliner Schlosses 1950/51 war das Gebiet des Schlossplatzes eine riesige Brache.

Zu dieser Zeit hieß der Platz bereits programmatisch Marx-Engels-Platz. Die DDR-Führung beschloss, hier ein neues Regierungsviertel zu errichten.

Als erster Neubau entstand 1964 das Staatsratsgebäude, das als Amtssitz des Staatsrates der DDR vorgesehen war.

Den Staatsrat der DDR gab es seit 1960, nachdem das Amt des Präsidenten abgeschafft worden war. Der Staatsrat fungierte als Staatsoberhaupt. Er bestand aus 22 Mitgliedern. Sein Vorsitzender war laut Protokoll der erste Mann im Staat. Das waren bis 1973 Walter Ulbricht, von 1973 bis 1976 Willi Stoph, von 1976 bis 1989 Erich Honecker und Ende 1989 für sieben Wochen Egon Krenz. Am 5. April 1990 wurde der Staatsrat durch eine Verfassungsänderung abgeschafft.

Besonders auffällig am Staatsratsgebäude ist das barocke Südportal des Berliner Schlosses, ein Sandsteinportal von 1713, das in die Hauptfassade eingefügt wurde. Es sollte daran erinnern, dass am 9. November 1918 Karl Liebknecht auf dem Balkon des Portals die „freie sozialistische Republik Deutschland“ ausgerufen hatte.

Die Geschichte mit dem Balkon stimmt allerdings nicht. Liebknecht stand auf ebener Erde, unter dem Portal. Die SED-Führung der DDR nutzte diese irrtümliche Auffassung und bezeichnete das Portal fortan als „Liebknechtportal“.

Ein weiteres Zeichen dafür, dass man sich in der Tradition der Arbeiterbewegung sah, waren die Glasfenster im Treppenhaus im Inneren des Gebäudes. Sie zeigten die Repräsentanten der DDR-Bevölkerung auf den Schultern der Revolutionäre von 1918. Wofür Liebknecht und Genossen damals vergebens gekämpft hätten, sei in der DDR Wirklichkeit geworden, so die symbolische Bedeutung.

Neben dem Treppenhaus sind insbesondere der Bankettsaal und der Festsaal im ersten Obergeschoss mit seinem 40 Meter langen Fries auf Meißner Porzellanfliesen mit dem Titel „Das Leben in der DDR“ zeitgemäß ausgestaltet worden.

Zu erwähnen sind noch der Sitzungssaal des Staatsrates und der Kinosaal, in dem Kinofilme auf ihre „politische Korrektheit“ hin überprüft wurden. Beide Säle blieben bei der umfassenden Sanierung des Gebäudes von 2004 bis 2006 unangetastet.

Der leitende Architekt des Staatsratsgebäudes war Roland Korn, der Chefarchitekt Ost-Berlins. Er entwarf auch das Wohngebiet Berlin-Marzahn.

Vom Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin 1999 bis zur Fertigstellung des Kanzleramts im Spreebogen 2001 diente das Staatsratsgebäude dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem rot-grünen Bundeskabinett als Sitz. Jetzt residiert dort eine private Wirtschaftsschule, die European School of Management and Technology.

Das Staatsratsgebäude gilt heute als eines der bedeutendsten Baudenkmäler der deutschen Nachkriegsgeschichte und architektonisches Meisterwerk der DDR.

Die bauliche Gestaltung markierte die Emanzipation der DDR-Architektur vom sowjetischen Neoklassizismus („Zuckerbäckerstil“), der etwa die Karl-Marx-Allee prägte.

Weitere Gebäude, die zum Regierungsviertel der DDR gezählt werden können, sind das Außenministerium, ein Neubau von 1967, der 1995 wieder abgerissen wurde, und der von 1973 bis 1976 errichtete Palast der Republik, in dem die Volkskammer der DDR tagte (Demontage 2006).

Audiodeskription

Die Audiodeskription beschreibt die Hauptfassade (Nordfassade) des ehemaligen Staatsratsgebäudes der DDR, im Folgenden nur Staatsratsgebäude genannt.

Wir stehen auf dem freien Platz zwischen dem Westportal des Humboldtforums und der Spree, der sogenannten Schlossfreiheit, und blicken in Richtung Süden. Von dieser Position aus liegt das Staatsratsgebäude, nur getrennt durch die Straße Am Werderschen Markt, die hier eine markante S-Kurve macht, in seiner ganzen stattlichen Breite vor uns.

Das gesamte Gebäude hat die Form eines Kubus. Die Hauptfassade im sachlichen Stil der DDR-Architektur der 1960er-Jahre ist 150 Meter lang und 25 Meter hoch. Typisch für die Fassade sind die großen Fenster. Gegliedert ist sie vertikal in drei Geschosse und horizontal in elf Achsen, die durch schmale, leicht aus der Wand hervortretende rote Streifen optisch voneinander getrennt sind. Anstelle einer Fensterachse ist als achte Achse das barocke Sandsteinportal des Berliner Schlosses von 1706 in die Fassade des Neubaus eingefügt worden.

Dieses barocke Schlossportal, das rekonstruiert und in Teilen noch original ist, stellt ohne Zweifel das Highlight der Hauptfassade des Staatsratsgebäudes dar. Es besteht aus dunklem Sandstein und springt der Fassade des Neubaus zirka drei Meter vor. Seine Geschosse weisen unterschiedliche Höhen auf. Das Erdgeschoss ist zirka fünf Meter hoch, das erste Geschoss zehn Meter und das zweite Geschoss zirka 15 Meter. In der Achse ist das Portal zirka 20 Meter breit.

Im Erdgeschoss des Portals befinden sich die Eingangstür zum Gebäude und je ein Fenster links und rechts. Die moderne gläserne Eingangstür besteht aus sechzig kleinen Scheiben, die durch weiße Holzsprossen voneinander getrennt sind. Eingerahmt wird die Tür an den Seiten von zwei schmucklosen Säulen. Über der Tür steht mit kupfernen Lettern in Kurzform der Name der privaten Schule, die heute die Eigentümerin des Gebäudes ist („ESMT Berlin“).

Im ersten Geschoss tritt der barocke Baustil des Portals besonders deutlich hervor. Hier entdecken wir genau über der Eingangstür und dem Namenszug den kleinen Balkon, von dem aus Karl Liebknecht 1918 zu den revolutionären Massen gesprochen haben soll. Klein deshalb, weil er mit seiner Breite von zirka zehn Meter nicht die gesamte Achse des Geschosses, sondern nur ihre Mitte einnimmt. Sein Geländer ist mit goldfarbenen Ornamenten verziert. Hinter ihm befindet sich ein großes Fenster, in das eine Tür integriert ist, durch die man den Balkon betreten kann. Links und rechts werden der Balkon beziehungsweise das Fenster mit der Tür von  sogenannten Hermenfiguren eingerahmt. Das sind menschliche, in diesem Fall nackte männliche Oberkörper aus Sandstein. Die linke Figur ist reichlich mit Weintrauben geschmückt und symbolisiert den Herbst, die rechte Figur den Winter. Mit ihren hochgereckten muskulösen Armen tragen sie den Balkon des zweiten Geschosses.

Dieses zweite Geschoss ist am auffälligsten gestaltet. Neben dem Balkon, der ebenfalls von einem Geländer mit goldfarbenen Ornamenten begrenzt wird, wäre das Fenster in seiner Mitte zu nennen, das, wie die meisten Fenster des Gebäudes, aus vielen kleinen einzelnen Scheiben mit Sprossen besteht. Oberhalb des Fensters befindet sich, nur durch einen schmalen Sims von ihm getrennt, ein halbkreisförmiger Fensterbogen mit einzelnen Scheiben, die die Form eines Parallelogramms haben. Darüber ist die goldfarbene Giebelkartusche mit der Inschrift „1713/1963“ angebracht. Links und rechts neben der Kartusche entdecken wir jeweils einen Engel mit einer Posaune. Ein reich verzierter Aufsatz aus Sandstein, der das flache Dach der Neubaufassade um zirka einen Meter überragt, schließt das Portal oben ab.

Die Fassade im Stil der DDR-Architektur rechts und links vom Schlossportal wirdvon den großen Fenstern dominiert. Ihre drei Geschosse besitzen die gleichen Höhen wie die des Portals. Lediglich ihre Achsen sind mit einer Breite von zirka 14 Meter etwas schmaler.

Die beiden Fenster pro Achse im Erdgeschoss sind zirka 50 Zentimeter breit und ein Meter hoch. Sie wirken wie dunkle Löcher in der hellen Sandsteinfassade. Im ersten und zweiten Geschoss nehmen die Fenster fast die gesamte Fläche der Achse ein. Unterteilt sind sie noch einmal in zwölf (erstes Geschoss) und 16 (zweites Geschoss) kleinere Fenster. Die Fensterrahmen und die Fenstersprossen bestehen aus silbern schillerndem Metall. Insgesamt beträgt der Anteil der Fenster an der Fassade fünfzig Prozent.

Die Fenster im ersten Geschoss weisen ein besonderes Merkmal auf. Dem jeweils mittleren Fenster wurde ein zweites äußeres Fenster vorgesetzt, so dass hier eine Art Hohlraum zwischen den beiden Fenstern entstanden ist. Es handelt sich um sogenannte Blumenfenster, in denen vermutlich einmal Pflanzen gestanden haben. Ob das tatsächlich der Fall gewesen ist, lässt sich heute jedoch nicht mehr ermitteln. Insgesamt wirkt die Fassade des Staatsratsgebäudes harmonisch und wie aus einem „Guss“. Die Tatsache, dass es dem Architekten gelungen ist, den scheinbaren Gegensatz zwischen Alt, dem barocken Schlossportal, und Neu, der glatten, schmucklosen DDR-Fassade, aufzulösen, macht den besonderen Reiz des Bauwerkes aus.