Mit einem blinden Guide im Jüdischen Museum

Audiodatei: Mit einem blinden Guide im Jüdischen Museum

Am 21. Februar 2014 fand im Jüdischen Museum in Berlin die konzeptionell neu erarbeitete „Architekturführung für Blinde und Sehbehinderte“ statt, an der von unserer Seite, wie schon bei der ersten Führung im Februar 2013 auch wieder Michael Baumeister als „erprobter Proband“ und Museumstester teilnahm. Und wie seinerzeit saß ich wenige Tage später mit ihm zusammen, um seine Bewertung des neuen Angebotes zu diskutieren und aufzuschreiben.

Die zunächst wohl auffälligste Veränderung gegenüber dem alten Konzept, war für alle Beteiligten zweifellos die Tatsache, dass ein selbst Blinder den blinden und sehbehinderten Besuchern als Architekturführer gegenübertrat. Er stellte ein kleines Tastmodell des Gebäudegrundrisses an den Anfang der Führung und sorgte so schon vor dem eigentlichen Beginn für einige grundsätzliche und hilfreiche Informationen.

Als es dann losging, passierte ein kleines Missgeschick, an dem sich einer der großen Vorzüge des neuen Konzeptes sehr schnell und gut erläutern lässt: der Museumsführer nämlich „verlief“ sich, das heißt er bog im reichhaltig mit Gängen bestückten Jüdischen Museums in einen falschen Gang ab. Die ganze Gruppe musste umkehren, um erst dann den richtigen Weg zum Lichthof – der ersten Station der Führung – zu gehen. Niemand allerdings empfand diesen Auftakt als „fehlerhaft“ oder gar als eine „peinliche Panne“! Ganz im Gegenteil: hier führte ein Betroffener die Betroffenen und schaffte damit eine gemeinsame Erfahrungsbasis, die für den gesamten Veranstaltungsverlauf bestimmend war.

Die Tatsache, dass der Referent selbst blind war, führte für die Teilnehmer zu einem erhöhten ‚Wir-Gefühl‘ und zu einer großen inhaltlichen Verbindlichkeit. Die zwangsläufige Fokussierung des Referenten auf die tatsächliche Erlebnis- und Sinneswelt der Zielgruppe, machte ihn für die Teilnehmer glaubwürdig und in einem umfassenden Sinne „authentisch“! Der durchaus eloquente Museumsguide der vorausgegangenen Führung im noch alten Konzept hatte viel über historische Ereignisse, Fakten, Daten und Namen, die er dann allesamt durch ein Abfragen der Teilnehmer zu verankern und zu bestätigen suchte, gesprochen und die optischen und sinnlichen Effekte der Architektur eher beschreibend vermittelt. Im Unterschied dazu beschränkte sich der neue Referent beispielsweise im „Holocaust-Turm“ darauf, auf die hörbare Wahrnehmung einer weit entfernt und wie unerreichbar wirkenden Außenwelt hinzuweisen, also einen Effekt des Raumes zu betonen, der in der Wahrnehmungswelt der Zielgruppe besonders gut nachvollziehbar ist.

Entsprechend diesem Konzept wurden auch die Schrägen der Wände – und es gibt im Jüdischen Museum mehr als genug davon – nicht mehr bloß beschrieben, sondern durch rückwärtiges Anlehnen sinnlich erspürt, Decken und Ecken im besten Sinne mit Händen „begriffen“. Was im vergangenen Jahr noch eine „informelle Einbahnstraße“ von Referent zu Besucher gewesen war, das wurde an diesem Tage in sehr geeigneter Weise zu einem an Fragen und Antworten reichhaltigen Dialog zwischen dem Referenten und den Teilnehmern.

Wenn es an diesem Nachmittag dennoch den ein oder anderen Verbesserungsvorschlag gab, dann lagen diese fast ausschließlich im Bereich der Erfahrenheit, respektive Unerfahrenheit des jungen Referenten: er sei ein wenig leise gewesen, etwas zu zurückhaltend, und er solle die Besucher nicht fragen, ob sie diese oder jenes gerne machen würden. Besser sei es, durch klare Programmvorgabe den konzentrierten Ablauf der Veranstaltung voranzutreiben, wurde etwa von den Besuchern angemerkt. Denn ohnehin bestehe bei dieser Führung das Problem, dass der Referent seine Zuhörer nie – im wortwörtlichen Sinne – „überschauen“ kann und er in Folge dessen sich sehr leicht in Einzelgespräche verliere. Zu einer solchen möglichen Vereinzelung der Teilnehmer tragen übrigens nicht selten auch die Begleitpersonen durch individuelle Nebengespräche bei. Insgesamt stellen wir jedoch mit Vergnügen fest, dass die „Architekturführung für Blinde und Sehbehinderte“, wie sie das Jüdische Museum in neuem Konzept anbietet, für die Angesprochenen deutlich attraktiver geworden ist und ausdrücklich empfohlen werden kann.

Ulrich Erdmann und Michael Baumeister