Tastführungen in der Neuen Gemäldegalerie und im Bode-Museum
Zusammen mit einer blinden Besucherin nahm ich an Tastführungen in der Neuen Gemäldegalerie und im Bode – Museum teil. Es war eine außergewöhnliche Erfahrung, das Visuelle völlig hinter sich zu lassen und sich auf das reine Tasten, das Fühlen zu beschränken. Die personelle und fachgemäße Vermittlung der Kunst übernahm Frau Heike Hamann, selbst freischaffende Künstlerin. Sie gestaltete uns ein Programm bestehend aus Führung, Unterhaltung und praktischer Umsetzung.
Nach einem kurzen Bericht über die Geschichte der jeweiligen Häuser lud Frau Hamann ein, zuerst diverse Materialien und Werkzeuge der Maler und Bildhauer zu ertasten, um ein Gefühl vom Gewicht, der Oberfläche und auch von der Wärme eines Stoffes zu bekommen. Holz ist warm und stumpf, Stein dagegen kalt und schwer“. Um das frisch erlernte Tastgefühl gleich weiter anzuwenden, durfte man beispielsweise in der Neuen Gemäldegalerie unter anderem eine Portraitdarstellung von Antonio Pollaiuolo in Nadeldurchbruch, Kostüme aus dem Fundus verschiedener Theater und ein nachgestelltes Gemälde vom Altmeister Antoine Pesne des schottischen Generalfeldmarschalls von Keith aus dem Jahre 1755 betasten. Apropos – das Original befindet sich übrigens im Bode – Museum.
Dort – im Bode-Museum – stehen aber nicht Gemälde, sondern Skulpturen aus Marmor verschiedener Jahrhunderte im Mittelpunkt des Rundgangs. Beim Ertasten einer Skulptur hatte die blinde Kunstliebhaberin kaum Probleme, die Konturen zu erkennen. Intensiv strich sie mit ihren Fingern über die Figur „Junges Mädchen, sich Sandalen anlegend“ vom Bildhauer Lambert Sigisbert Adam d. Ä. und befühlte auch die kleinsten Winkel sehr gründlich. „Ich hätte gerne eine halbe Stunde Zeit, um alle Feinheiten zu entdecken“, sagte die Besucherin. Während dieser Führung im Bode- Museum trugen alle Teilnehmer weiße Baumwollhandschuhe. Bei aller Freude am Betasten – die Kunstwerke müssen vor Säureeinwirkung geschützt sein.
Nach kurzer Begrüßung mit Frau Hamann, die die Tastführung leitete und einer von Geburt an Blinden Dame mit ihrer Begleiterin ging es auch schon los in Richtung Eingangshalle. Frau Hamann konzentrierte sich ausschließlich auf die blinde Besucherin und bemühte sich die Wandelhalle mit ihren beidseitig durchzogenen Säulenreihen und den in der Hallenmitte installierten Brunnen, gestaltet vom amerikanischen Konzeptkünstler namens Walter De Maria, so ausführlich wie möglich zu beschreiben. In das Wasser des rechteckig gestalteten Brunnens mochte Frau Lorenz nicht eintauchen aber sie konnte dafür das Geplätscher gut hören. Sie bemerkte die Stille und auf die Frage, ob wir uns allein in der Halle befinden, erklärte Frau Hamann, dass die Eingangshalle als ein Ort der Ruhe gedacht ist. Die dort umherspazierenden Besucher sprechen kaum und verhalten sich leise. Erklärt wurde hier auch, dass sich an den Wänden der Halle mit Absicht keine Bilder befinden. Haben Sehende Besucher einen Rundgang mit dem Betrachten der vielen Gemälde beendet, können sie sich bevor sie nach Hause gehen, in die Halle auf Bänke setzen und das Gesehene nochmal verinnerlichen ohne sich zum Ende des Rundgangs durch neue Bilder ablenken zu lassen.
Die Führung ging weiter in einen nördlich gelegenen großen Raum mit bekannten Gemälden an den Wänden. Auf Bitte von Frau Hamann platzierten wir uns auf eine Sitzbank und warteten. Ausgestattet mit einer Kiste präsentierte Frau Hamann der Frau Lorenz die ersten Tastobjekte. Dinge, wie eine kleine Leinwand ca. 60 x 40 cm groß und zur Hälfte mit Acrylfarbe bestrichen, eine kleine Staffelei schon bemalt mit extra dicker Farbe, ein Bild in Nadeldurchbruch. Gereicht wurde ihr zuerst die kleine Leinwand. Sie strich mit den Fingern darüber und bemerkte den Unterschied schnell, Acrylfarbe fühlt sich wie Plastik an und bei der anderen Hälfte ohne Farbe entschied sie sich für wenig strukturiert, fast glatt. Danach auf der kleinen Staffelei bemerkte sie dicke beinahe scharfe, spitze Strukturen. Geführt von Frau Hamann wurden ihre Finger in eine Schachtel gehalten und unsicher tauchte sie in eine Masse ein. Sie spürte, dass ihr etwas pulvrig, samtiges an den Fingern klebte, konnte es aber nicht zu ordnen. Es war Blattgold und haftete natürlich vehement an ihren Händen so dass wir Mühe hatten das Gröbste zu entfernen.
Eine auf Rädern große Staffelei aus Holz mit einem nachgestellten Bildnis des schottischen Generalfeldmarschalls von Keith von Antoine Pesne aus dem Jahre 1755 wurde herangefahren, welches Frau Lorenz ausgiebig abtasten durfte. Währenddessen las Frau Hamann eine Beschreibung des Abgebildeten vor (z. B. Seitenportrait, Gesicht, Perücke, Kleidung) und nannte noch die wichtigsten Daten des Malers Antoine Pesne. Deutlich spürbar war der prunkvolle Rahmen mit seinen sich wiederholenden Ornamenten. An dieser Stelle und auf Wunsch von Frau Lorenz wurde die Maltechnik des 18. Jahrhundert noch zusätzlich erläutert.
Zwischendurch wurde immer wieder nachgefragt, ob noch genügend Ausdauer vorhanden oder eine Pause nötig sei. Frau Lorenz behielt Ausdauer!
Weiter ging es jetzt in einen separaten Raum wo verschiedenste Kostüme aus dem Fundus der Komischen Oper auf uns warteten. Zuerst reichte man eine Stoff – Mustermappe mit verschiedenen Strukturen. Danach durfte man das Kostüm des Ritters Blaubart in die Hände nehmen und hier wurde sehr deutlich bemerkt, dass dieses Kostüm aus einem haptisch erhabenen und mit stilistischen Formen bestickter Stoff war. Nach Anziehen dieses Kostüms wurde auch die Schwere des Mantels erkannt. Weitere Kleidung waren eine grobe Stoffhose der Truppengattung der Infanterie/ Musketiere mit seitlichen Schnüren und Verschlüssen, ein schweres Wams, Röcke aus Leinen, Unterröcke mit Spitze, Plissee, Samtene Überwürfe, Blusen mit Puffärmeln, ein Korsett mit Häkchen und Stäben drin und zu guter Letzt ein riesiger schwarzer Tüllkragen in den man sich gleich wichtiger fühlt, wenn man ihn anlegt. Sämtliche Kleidung durfte man berühren, anfassen, mal überziehen und durch die Finger gleiten lassen. Als Abschluss in diesem Raum wurde noch eine mannshohe Modellgliederpuppe aus Holz zur Verfügung gestellt. Die Glieder der Figur durfte man in alle Richtungen drehen und kurbeln, Bewegungsempfindungen wurden hier besonders gefordert.
Das nächste Ziel war der Demonstrationsraum. Zwei interessante Tastbilder hingen an der Wand. Eines davon war ein Heiligenbild. Auf bogenförmig gestalteten Holzbänken hintereinander angeordnet nimmt man Platz und hört den Ausführungen der Kunstvermittlerin zu, die über den Bildaufbau des Kunstwerks berichtet, bevor man an das nachgestellte Konturen erhabene Bildnis tritt. Unsere blinde Besucherin konnte sich von der Gestalt, Körperkonturen, Umrissen und der Größe des gesamten Bildes eine Vorstellung machen.
Zum Vergleich wurde nochmal für Sehende das Madonnenbild in vergrößerter Form an eine Bildwand projiziert.
Das Sortiment aller Tastexponate wird regelmäßig gewechselt.
Einige elementare Wahrnehmungsweisen wie Hören, Tasten, Riechen wurden durch Erkundung der Objekte und der Außenwelt besonders gefordert.
Der Umgang mit verschiedener Oberflächenbeschaffenheit der angebotenen Materialien und Formen wurde lustvoll akzeptiert oder deutlich taktil abgewehrt. Diese Abteilung in der Gemäldegalerie ist besonders für blinde und sehbehinderte Menschen eingerichtet worden. Die nachgestellten Kunstwerke darf man anfassen. Die tastende Hand kann einiges entdecken, erraten und wichtige Erfahrungen machen.