Ludwig-Erhard-Haus

Zur Einführung

Das Ludwig-Erhard-Haus zählt zu den herausragensten und ungewöhnlichsten Gebäuden der Stadt, erbaut nach einem Entwurf des britischen Stararchitekten Sir Nicholas Grimshaw. Die Bausumme betrug 305 Millionen DM. Das Gebäude beginnt hinter dem ehemaligen Sitz der IHK und reicht bis an die Terrassen des alten „Delphi Kinos“ an der Kantstraße. Diese wurden im Rahmen des Neubaus, zum Ausgleich für die Bebauung der früheren Freifläche, original im Stil der Zwanziger Jahre mit rekonstruiert.

Der Bauherr ist die IHK, Namensgeber Ludwig Erhard, der Begründer der sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und Vater des deutschen Wirtschaftswunders. Es wurde 1998 fertiggestellt und ist das neue Kommunikations- und Servicezentrum der Berliner Wirtschaftscommunity. Neben der IHK sind der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, der VBKI, die Wertpapierbörse und weitere Berliner Wirtschaftsunternehmen hier ansässig. Das unter Denkmalschutz stehende alte VBKI Vereins- und Börsenhaus von Paul Schwebes wurde für den Neubau abgerissen und nicht, wie ursprünglich geplant, in den Neubau integriert.

Sir Nicholas Grimshaws Name steht für futuristisch anmutende Architektur. Seine zahlreichen Projekte finden wir vor allem im gewerblichen Bereich. Fabriken, Hallen für Bahn- und Luftfahrt, Bürogebäude, aber auch Brücken, Museen oder das Projekt Eden, das größte Gewächshaus der Welt im südenglischen Cornwall, gehören dazu. Die Architekturwelt ist beeindruckt von Grimshaws innovativen Konstruktionen aus Glas und Stahl, sichtbare Funktionalität in organischer Formensprache mit Einbeziehung ökonomischer und ökologischer Gedanken. Seine Philosophie vermittelt er mit drei Worten: Structure – Space – Skin. Die Struktur, gerne den ökonomischen Baumustern der Tierwelt abgeschaut, sogenannte zoomorphe Strukturen, werden den menschlichen Bedürfnissen angeglichen. Der dadurch entstehende Raum soll das Gebäude lebendig und vital gestalten, die umschließende Oberfläche im Spiel zwischen Transparenz, Durchlässigkeit und Opazität (Lichtundurchlässigkeit) wirken.

Das Ludwig-Erhard-Haus von außen

Beginnen wir mit der Struktur: Als primäre Tragekonstruktion erheben sich 15 Stahlbögen über das Berliner Häusermeer. Unter Ausnutzung des unregelmäßigen Grundstücks sind sie unterschiedlich hoch, bis zu 39 Meter, und haben Spannweiten von 33 bis 61 Meter. Besonders in der Bauzeit lag die Assoziation zu einem Gerippe sehr nahe. Die Flächen zwischen den Trägern wurden mit Beton ausgesteift, nur die Verglasung von zwei haushohen Lichthöfen (Atrien) durchschneidet die feste Hülle. Durch die kürzeren Spannweiten der Träger Richtung Hardenbergstraße verjüngt sich hier die Gebäudeform. Aus der Luft gesehen hat man den Eindruck von einer riesigen, bauchigen, auf dem Boden liegenden Vase. Eine gerade Fassade, die an der Straßenseite von oben bis zum ersten Obergeschoss vor die Bögen gebaut werden musste, wirkt wie eine Fassung, welche die Vase hält. Trotz der Wand, die zur Straße die Bögen fast verdeckt, erinnert der Baukörper, durch die auf der gebogenen Fläche sich hervorhebenden Träger, an eine sich durch die Stadt schlängelnde Riesenraupe, ein Gliedertier, wie ein Wurm oder eben ein Gürteltier, ohne Kopf und Schwanz.

Wer sich auf dem öffentlichen Fußgängergehweg dem Ludwig-Erhard-Haus nähert, kommt nicht vorbei an den großen Füßen der Tragebögen. Wie riesige Gürteltiertatzen stehen sie in der Straßen- und auch Hoflandschaft. Die vier spitzen Aufkantungen der Verkleidung lassen die Form von Krallen entstehen. Es sollte wirklich jeder einmal die Bogenfüße ertasten, um die Dimensionen zu erahnen und auch um das zoomorphe Gestaltungselement der Krallen und Tatzen zu erleben. Die Seitenverkleidungen der letzten zum Boden freistehenden Meter der Stahlbögen sind mit Spannschlössern in Tasthöhe fixiert und werden im weiteren Fantasiespiel zu den Beinen des Gürteltiers.

Beim „Gürteltier“ ist es dann im allgemeinen Sprachgebrauch der Berliner geblieben. Präziser getroffen ist es mit dem Ausdruck des Architekturkritikers Falk Jaeger, dem „eingesperrten Gürteltier.“ Es ist schade, dass die Freifläche um das Gebäude sehr knapp ist und die extravagante Optik nicht richtig zur Geltung kommt. Atemberaubend schön in seiner geschwungenen Bogenpracht und traurig zugleich stapft es mit seinen Trägerfüßen in Tatzenform durch die enge Hinterhofidylle mit Müllcontainern und Tiefgaragenausfahrt. Dazu machte sich der damalige Senatsbaudirektor Stimmann einen unrühmlichen Namen mit seiner Forderung, den preußisch-hobrechtschen Bebauungsplan einzuhalten, indem er auf strikte Blockrandbebauung mit 22 Meter Traufhöhe bestand. So entstand die schon erwähnte gerade Fassade an der Straße. Das brachte dem Gebäude zwar zusätzlichen Büroraum zwischen den Bögen und der geraden Hausfassade, aber es sperrt den Körper des Gürteltiers noch mehr ein. Die Straßenansicht der Bogenform ist komplett verdeckt. Diese Tatsache erntet bis heute reichlich Kritik in der Architekturwelt und der Presse.

Das Ludwig-Erhard-Haus von innen

Betrachten wir das große Foyer, die sogenannte Fasanenpassage. Mit Zugang von den beiden Kopfseiten des Hauses läuft sie durch das gesamte Gebäude parallel zur Fasanenstraße, nur durch eine Glasfassade getrennt vom Bürgersteig. Sie versteht sich als interne Straße.

Von der über die Passage schwingenden Galerie kommt man zu den Atrien. Hier präsentiert sich die futuristische Raumgestaltung in voller Pracht. Da das Erdgeschoss mit seinem Foyer stützenfrei gehalten ist und es keine Außenwände gibt, um die Geschossdecken aufzulegen, sind die acht Büroetagen an die Bögen mit Stahlhängern aufgehängt. So schweben die Bürogeschosse in der Bogenkonstruktion, flankiert von den beiden Atrien. Wie riesige Zangen halten sogenannte Greifer die Hängestangen der Deckenaufhängung an den einzelnen Etagen fest und bestimmen die Optik der Atrien. Genauso sind auch die beiden Frontseiten des Hauses gestaltet. In der Mitte des großen Kant-Atriums erheben sich im Grundriss eines Ovals Fensterscheiben aus dem Steinfußboden, gedeckelt mit einer flachen Metallmütze. Diese Fensterschau, die an eine Schiffskommandobrücke erinnert, war dazu gedacht, Einblick in das darunter liegende Börsenparkett zu bekommen.

An der inneren Kopfseite beider Atrien gleiten drei Fahrstühle mit leisem Surren auf den sichtbaren Führungsschienen, die Aufzugsseile auf gelben Rollen, als Panoramaaufzüge ihre neun Etagen hinauf und hinunter. Ihr futuristisches Design wird verglichen mit einem Integralhelm oder einer Kapsel. Die einzelnen Bleche der Aluminiumverkleidung wurden von einem englischen Hersteller für Oldtimer-Karosserien in einem Spezialverfahren hergestellt. Um die Oldtimer-Optik zu unterstreichen, wurden die einzelnen Bleche mit Senkkopfnieten auf einem Trägergerüst befestigt. Das Panoramafenster hat einen Biegeradius von über 180 Grad um die Kapselform herum. Im Innenraum sind die Fahrkörbe vollständig mit hellem Ahornholz ausgekleidet und wirken sehr edel. Die Knöpfe für die Etagenziele sind taktil, eine Sprachausgabe gibt es nicht. Die Aufzugshaltestellen befinden sich an gläsernen Brücken, welche die Büroetagen miteinander verbinden, und ab und zu kann man das Klappern der Schritte auf dem Glasboden hören.