Mein Besuch im Buchhändlerkeller
Im Oktober 2009 ging ich zweimal zu den Lesungen des sogenannten Buchhändlerkellers, um mich mal fernab der für mich gewohnten Fernsehlandschaft niveauvoll unterhalten zu lassen. Um nicht als Film- und Fernsehfledermaus unter den ganzen anderen Leseratten aufzufallen, nahm ich noch zwei hungrige Bücherwürmer mit. Politisch korrekt gesagt, waren es zwei Bücherwürmerinnen, wobei die eine normalsehend und Mitarbeiterin des Projektes „Berlin für Blinde“ und die andere eine langjährige blinde Freundin ist. Da ich ja selbst auch sehbehindert bin und es zu diesem Zeitpunkt noch keine Wegbeschreibung vom U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz bis zum Buchhändlerkeller gab, war es schon recht hilfreich, eine normalsehende Begleitung dabei zu haben, denn ohne Wegbeschreibung kann der Ernst-Reuter-Platz doch äußerst unübersichtlich sein, vor allem wenn die Sicht ohnehin schon getrübt ist.
Über die bald erscheinende Wegbeschreibung redend, liefen wir etwa fünf Minuten zum Buchhändlerkeller, und zumindest ich war überrascht, als wir dort ankamen, denn beim Buchhändlerkeller fehlten sowohl der Handel als auch der Keller! Der Vortragsraum ist ebenerdig und Bücher werden nur jeweils direkt nach einer Lesung verkauft – oftmals sogar vom Autor signiert. Einstmals befand sich der Vortagsraum tatsächlich in einem Keller und Buchhandel wurde auch betrieben, jedoch wurden dann irgendwann andere Räumlichkeiten aufgesucht, wobei der Name „Buchhändlerkeller“ in Fachkreisen offenbar für gute Qualität steht und aufgrund dieser Etablierung natürlich beibehalten wurde.
Wir zahlten den für uns ermäßigten Eintrittspreis von 3 Euro und setzten uns in die erste Reihe des mittelgroßen Vortragsraumes. Obwohl der bei starker Zuhörerfrequentierung ebenfalls genutzte Nebenraum mit seinen gemütlichen Polstermöbeln und der kleinen Bar sehr einladend auf uns wirkte, war nun erst einmal die Lesung an der Reihe.
Es ging um die „Wahlverwandtschaften“ von Johann Wolfgang von Goethe. Da der Autor seit 1832 für Lesungen nicht mehr zur Verfügung steht, wurde er durch den bekannten Film- und Theaterschauspieler Hermann Treusch vertreten, der durch seine hervorragende Vortragsweise selbst mich mitreißen konnte, und dabei war mir die Geschichte um Liebesbeziehungen, Gesellschaftsordnung und Chemie schon in meiner Schulzeit zu komplex und rätselhaft.
Bei der zweiten Lesung, welche wir besuchten, ergaben sich für mich weitaus weniger Verständnisschwierigkeiten, denn es ging um Harry Potter! Genauer gesagt, um das Buch von Viola Altrichter mit dem Titel „Harry Potter – ein moderner Mythos“. Ich selbst kann zwar mit dem Zauberzwerg nicht viel anfangen, aber meine beiden Bücherwürmer waren durch diverse Bücher, Hörbücher und Filme im Vorhinein bestens informiert.
Das Altersspektrum reichte vor allem bei der zweiten Lesung von Anfang zwanzig bis Ende siebzig. Nach den Lesungen und der obligatorischen Gesprächsrunde unterhielten wir uns auch noch kurz mit der Leiterin des Buchhändlerkellers Frau Staudacher, die sich erkundigte, ob es uns denn gefallen hätte und ob wir die Lesungen in ihrem Haus weiterempfehlen würden. Unsere Antwort war einstimmig ja, und das ist auch der Grund, weshalb ich diesen Erlebnisbericht hier verfasse, denn solch eine Lesung ist auch für blinde Hörbuchwürmer eine ideale Gelegenheit, um andere Liebhaber ihrer literarischen Helden kennenzulernen oder auch einfach nur vielfältig und niveauvoll unterhalten zu werden.
Übrigens ging ich nach der ersten Lesung direkt nach Hause, um mich im Internet etwas genauer über die „Wahlverwandtschaften“ zu informieren.
Text: Adrian Kosanke