Die Inklusionsgruppe Bogensport beim Bogensportclub BB-Berlin e.V.

Audiodatei: Die Inklusionsgruppe Bogensport beim Bogensportclub BB-Berlin e.V.

JWD, oder „Janz weit draußen“ wie es auf Berlinerisch heißt, gibt es am Berliner Stadtrand, in Weissensee um genau zu sein, umgeben von sehr viel Grün eine große Wiese, fast schon eine Weide, auf der Pfeile durch die Gegend fliegen. Das klingt gefährlich! Gefährlicher, als es in Wirklichkeit ist. Denn die Pfeile sollten in einem Ziel landen. In der Zielscheibe nämlich. Richtig gehört, hier sind die Erben Robin Hoods am Werk, hier wird mit Pfeil und Bogen geschossen.

Natürlich gibt es schon lange Sportarten, die ohne Probleme von blinden und sehbehinderten Menschen betrieben werden, aber Bogenschießen erscheint im ersten Gedanken schon absurd. Wie soll denn richtig getroffen werden, wenn zum Beispiel das Ziel nicht zu sehen ist? Es geht und es geht sogar sehr gut. Der Bogensportclub BB-Berlin e.V. hat sich darüber Gedanken gemacht.

Das fängt an und endet mit den nach individuellen Maßstäben gefertigten Stativsystemen. Diese gelten nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen, sondern für jede Person, die eine Behinderung hat. Auch manche nicht behinderte Person zieht es vor, so am Bogenschießen teilzunehmen. Die Art, wie der / die Schütz*in an diesen Stativen angepasst steht, verschafft ein sicheres Gefühl. Das fängt mit den beiden Fußschienen am Boden an, die so platziert werden, dass die Schütz*innen in der richtigen Position zur Zielscheibe ausgerichtet stehen. Ein sicherer Stand ist extrem wichtig für das weitere Vorgehen. Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt, im wahrsten Sinne des Wortes, ist der Punkt, an dem das Kinn seitwärts anliegt. Am Stativ ist ein runder Plastik- oder Gummipfropfen, der individuell angepasst wird. Von dieser Position aus lässt sich im Kopf die Flugroute des Pfeils errechnen, und so können blinde und sehbehinderte Menschen genauso gut oder schlecht auf jeden Fall aber genauso sicher schießen wie Sehende. Die Trainer nehmen sich natürlich genug Zeit, diesen Vorgang ausführlich zu beschreiben und am Ende präzise zu trainieren. Denn darauf kommt es ja an. Wenn nämlich all das, der sichere Stand, die Anpassung des Körpers an das Stativsystem und schließlich das genaue Erfühlen des Punktes gegeben ist, können die Pfeile abgeschossen werden. Dieses System wird übrigens nach Anmeldung für jede Person extra gebaut.  Ich konnte mich selber davon überzeugen, dass es funktioniert. Mit Augenklappen ausgerüstet – Schummeln war damit ausgeschlossen –, musste ich mich auf das Stativsystem verlassen und stellte fest, dass es absolut funktioniert, es gibt Sicherheit und die Zielrichtung vor. Denen, die dieses System entwickelt haben, muss attestiert werden, dass sie hier eine wirklich gelungene Konstruktion gefunden haben. Ein blinder und sehr weit fortgeschrittener Bogenschütze, der anschließend seine Pfeile wesentlich routinierter als ich abschoss, konnte mit dem System mit solch einer spielerischen Leichtigkeit umgehen, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht.

Aber nicht nur dieses Stativsystem soll den Erfolg bringen, der eigene Körper muss auch mithelfen. Erstens ist es schon eine Anstrengung einen Bogen zu spannen. Dieser Vorgang ist im ganzen Körper spürbar. Zweitens ist es bei dieser Sportart für blinde und sehbehinderte Menschen wichtig, ein und denselben Bewegungsablauf immer wieder zu reproduzieren, um so zu wissen, wie auf das Ziel geschossen werden muss. Deshalb gibt es, bevor es an das Stativsystem geht, auch ein individuell ausgerichtetes Körpertraining, welches die notwendigen Muskelanspannungen ausreichend trainiert, so dass am Ende der Bewegungsablauf sitzt.

Selbstverständlich ist wie in jeder Sportart das Erfolgserlebnis das A und O. Aber wie können blinde und sehbehinderte Menschen erkennen ob sie getroffen haben? Auch dafür wurde beim Bogensportclub eine Lösung gefunden.

Nachdem der Köcher leergeschossen ist, werden blinde und sehbehinderte Schütz*innen von den Trainern zur Zielscheibe geleitet, wo sie dann eigenhändig die Pfeile wieder hinausziehen. So kann erfühlt werden, wie geschossen wurde. „Um beim Bogenschießen ins Schwarze zu treffen, müssen die Schützen nicht unbedingt sehen können“, stellt der Bogensportclub unter Beweis.

Natürlich geht das nicht alles von heute auf morgen, aber das ist ja auch nicht der Sinn der Sache. Gut Ding will Weile haben, wie es so schön heißt, und das trifft beim Bogenschießen zu, für alle Schütz*innen natürlich, für Sehende genauso, wie für Blinde und Sehbehinderte. Die Blindenführhunde wird es natürlich auch freuen, wenn hier ausgiebig und nachhaltig trainiert wird, so können sie sich auch mal ausgiebig ausruhen, das Gelände des Bogensportclubs bietet auch hierfür genügend Raum und Stöckchen, beziehungsweise Pfeilchen holen brauchen sie auch nicht, das erledigen Frauchen und Herrchen, wie bereits beschrieben, schon selber.  Auch das übrigens nicht erst seit gestern. Denn schon seit 2016 arbeitet der Bogensportclub mit blinden und sehbehinderten Bogenschütz*innen. Damals fanden sich nacheinander und rein zufällig ein blinder, ein hochgradig sehbehinderter, ein nicht-behinderter und ein querschnittsgelähmter Sportler mit Interesse am Bogensport beim BB-Berlin e.V. ein. Gleich stellten sich zwei Trainer, damals noch mit mehr Offenheit als Erfahrung, den Herausforderungen dieser neuen Sportgruppe und gemeinsam betraten sie Neuland.

Die Inklusionsgruppe Bogensport war geboren.

Trainiert wird an zwei Orten, im Sommer auf dem Schießgelände in Weissensee und im Winter in einer Turnhalle in Wilhelmsruh.

Das Angebot ist vielfältig und wird jedem Stand angepasst. Von totalen Anfängern über Breitensport bis hin zum Leistungssport. Am Anfang braucht es aber nur die Lust das Bogenschießen zu versuchen. Einen eigenen Bogen dürften die Wenigsten besitzen und so ist der natürlich keine Voraussetzung. Darum werden anfangs Bögen zur Verfügung gestellt. Auch später bei Fortgeschrittenen ist ein eigener Bogen nicht unbedingt nötig, denn die Bögen kann man auch mieten.

Wer es besonders weit bringen will, ist hier auch nicht fehl am Platze. Teilnahme an internationalen Wettbewerben bis zur WM ist möglich, aber bis dahin ist es natürlich ein langer Weg. Wer sich selber ausprobieren will ist beim Bogensportclub BB-Berlin e.V. genauso willkommen wie diejenigen die genauso wie ihre Pfeile weit fliegen wollen.

Allen die das typische Vereinsleben mit den sozialen Kontakten und geselligem Beisammensein nicht missen wollen sei gesagt, das gibt es hier auch und nicht zu knapp.  Am gutbesuchten Tag der offenen Tür zogen neben den fliegenden Pfeilen auch Bratwurstdüfte durch die Weissenseer Luft.