Mit Blinden und Sehbehinderten im Schloss Schönhausen
Von Ulrich Erdmann.
Im Nordosten Berlins, in jenem Bezirk, dessen Name in den 50er und 60erJahren Synonym für eine ganze Staatsführung war, liegt ein eher unscheinbares Schloss mit allerdings sehr komplexer Geschichte! Als eines seit seiner Erbauung durch alle Zeitläufte und Kriege hindurch unversehrt gebliebenes Bauwerk haben sich – Jahresringen gleich – ganz verschiedene Perioden in ihm angelagert.
So lädt Schönhausen Interessierte zu einer Zeitreise ein von den Anfängen der preußisch friderizianischen Epoche über die Gründungsjahre der DDR bis hin zum „Runden Tisch“ und den unter der Formel „Zwei plus Vier“ bekannt gewordenen Ministertreffen zur Vorbereitung der neuen deutschen Einheit der Jahre 1989-91. Zudem bietet das Schloss in seiner architektonischen Anlage und Überschaubarkeit einen nahezu idealen Ort für Führungen und sachkundige Begehungen mit blinden und sehbehinderten Besuchern.
Für das Projekt „Berlin für Blinde“ war es daher eine willkommene Herausforderung, in Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten eine Führung speziell für Blinde und Sehbehinderte im Schloss Schönhausen zu konzipieren und umzusetzen. Als einen der abschließenden Termine in diesem Erarbeitungsprozess fand am 25.06.2013 eine Probeführung mit ausgewählten blinden und sehbehinderten Besuchern statt, um das Konzept und die praktische Anwendung der technischen Hilfsmittel zu überprüfen.
Das zentrale Hilfsmittel für alle Teilnehmer der Führung ist ein Abspielgerät, der sogenannte „Audioguide“, ein leichtes, tragbares, einem Mobiltelefon der allerersten Generation nicht unähnliches Gerät. (Eine genauere Beschreibung dazu bietet unsere nachfolgende „Empfehlung zur Nutzung des Audioguide“!) Neben dem Rundgang mit Hörbeiträgen umfasst die Führung auch einen taktilen Erlebnisbereich, in dem mehr als zehn Tastobjekte für den blinden und sehbehinderten Besucher zur Verfügung stehen.
Das Konzept sieht den Beginn der Führung in diesem Tastbereich ausdrücklich vor und so durfte ich an diesem Vormittag eine Gruppe von Menschen begleiten, deren Führung mit dem im 2. OG untergebrachten Tastprogramm begann. Dieser Tastbereich besteht im Wesentlichen aus drei Hauptelementen: einem großen Möbel, das wie eine für diesen Zweck erdachte Mischung aus Tisch und hochbeiniger Kommode erscheint, einer mit einem originalgetreu angefertigten historischen Kostüm staffierte Kleiderpuppe, sowie das Tastmodell des Schlossbaues mit Extra-Grundriss.
Erste und zentrale Station aber ist die Kommode. Auf ihr ruht über die ganze Fläche der oberen Platte die detaillierte Nachbildung einer für den Festsaal gestalteten Stuckatur. Ihre reichhaltige, ja man möchte sagen: üppige plastische Ausgestaltung ist eine taktile Reise in die Formenwelt des Rokokos. In drei Schubladen an ihrer Vorderseite hält die Kommode auch noch andere Tastobjekte für den Besucher bereit, Objekte die in engerer oder weiterer Beziehung zum Schloss Schönhausen stehen: wie die verwendeten Baumaterialien, historische Damaststoffe, das Kristalldetail eines Kronleuchters, ja sogar eine Gipsbüste des „Großen Friedrich“ liegt hier zur taktilen Erkundung bereit. Vollends in den Bereich sinnlichen Erlebens führt den Besucher ein kleines Fläschchen des für das höfische Leben im Rokoko so typischen Eau de Cologne.
Zudem sind einige Objekte der Taststation in besonderer Weise mit dem sich anschließenden Rundgang verknüpft: so ist beispielsweise das historische Kostüm mit zierlichem Damendreispitz auf der Kleiderpuppe die genaue Nachbildung eines Jagdkleides, welches auf dem Portrait einer Hofdame im Gartensaal zu sehen und im Audioguide detailgenau beschrieben ist.
Ein kurzes Resümee unter den Teilnehmern ergab dann auch eine sehr gute bis begeisterte Resonanz auf das Angebot der Taststation und der hier ‚fassbar‘ gewordenen Eindrücke. Und so waren die Anmerkungen zur ihrer Optimierung – wie das Nummerieren der Schubladen, das Ausschlagen der Ladeninnenseiten mit dunkleren, kontrastschaffenden Bezügen, oder auch die bessere Platzierung des Schlossmodells eher als wohlmeinende Anregungen denn als grundsätzliche Kritik zu verstehen.
Danach ging es durch das große Treppenhaus zurück ins Kassenfoyer, das Ausgangspunkt für die anschließende Führung durch die Kammern, Säle und Kabinette des Schlosses ist. Durch insgesamt 14 Räume führt der Audioguide die Besucher, von denen ein jeder seine eigene Besonderheit zu bieten hat: seien es Gemälde und Spiegel in dem einen, kostbare Stoff-, Seiden- oder Papiertapeten in einem anderen, die eindrucksvolle Holzvertäfelung im Zedernholzkabinett oder kunstvoll gestalteter Gipsmarmor im großen Saal oder auch ausgefallene Stücke höfischen Hausrates, wie ein zu einem Kelch umgearbeitetes Straußenei oder die frühe Form eines Eiskühlers.
Und immer liefert der Audioguide dazu genaue Objektbeschreibungen und die passende historische Folie. So auch in dem im Original erhaltenen Arbeitszimmer des ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck und dem dazugehörigen Kaminzimmer, dessen Blickfang ein groß gearbeiteter Porzellanpelikan bildet. Dabei erwies sich die Möglichkeit der ganz individuellen Benutzung des Audioguide, die Möglichkeit also, Passagen wiederholt abspielen und im Textangebot frei navigieren zu können, als für die Teilnehmer sehr vorteilhaft und hilfreich angesichts der außergewöhnlichen Fülle an Eindrücken und Sachinformationen.
Zudem trafen die Teilnehmer an diesem Vormittag auf ein durchweg freundliches Personal, das auf die besonderen Bedürfnisse der sehbehinderten und blinden Besucher bereitwillig einging. Und so waren nach gut zweieinhalb Stunden alle Teilnehmer mit dem Ergebnis der Probeführung doch eigentlich sehr zufrieden: die Veranstalter, weil sich Konzept und Ablauf als insgesamt stimmig und praktikabel erwiesen hatten und alle Verbesserungsvorschläge eher technisch-formale Abläufe – wie beispielsweise die geforderte ausführlichere Einweisung in den Gebrauch des Audioguide – betrafen, und die Besucher, weil ihnen mit dieser Führung ein wirklich historisches Kleinod Berlins erschlossen wurde.